60 % der deutschen Fußball-Fans wollen die WM 2022 in Katar nicht live verfolgen!
Nur noch knapp sieben Monate sind es bis zum Start der umstrittenen Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Anders als bei vergangenen Turnieren findet die WM im Winter statt, die hohen Temperaturen im Sommer würden das Fußballspielen unmöglich machen. Doch nicht nur wegen der Jahreszeit steht der Ausrichtungsort in diesem Jahr in der Kritik. Die menschenrechtliche Situation im Land und der Umgang mit Gastarbeitern sorgten bei vielen Fußballfans für Empörung und Diskussionen. FanQ hat daraufhin über 2.000 Fußballfans in Deutschland befragt, ob sie mit Vorfreude auf die WM blicken und ob sie das Turnier trotz der Gesamtsituation in Katar verfolgen wollen.
Vorfreude in diesem Jahr deutlich geringer
Eigentlich ist eine Fußball-Weltmeisterschaft immer etwas Besonderes und ruft bei den Fans und Zuschauern in Deutschland ein ganz spezielles Gefühl hervor. Vor allem das “Sommermärchen“ 2006 und auch Brasilien 2014 stechen durch die hervorgerufenen Emotionen heraus. Sobald die deutsche Nationalmannschaft auf dem Platz stand, waren die Straßen im gesamten Land wie ausgestorben. Alles tummelte sich in den Kneipen, vor dem Fernseher oder an öffentlichen Plätzen zum Public Viewing. In diesem Jahr könnte aber alles anders werden. Das Eröffnungsspiel wird nicht wie sonst in den Sommermonaten stattfinden, sondern am 21. November in der katarischen Küstenstadt Al-Chaur. Das Finale steigt sogar erst wenige Tage vor Weihnachten. Grund dafür sind die klimatischen Bedingungen vor Ort, die das Fußballspielen im Sommer bei knapp 50 Grad Celsius schier unmöglich machen und die Spieler gesundheitlich gefährden könnten. Schon allein deswegen hagelte es in den letzten Jahren viel Kritik für die Auswahl des Exekutivkomitees der FIFA.
Doch dies ist bei Weitem nicht der einzige Grund, warum die Vergabe des bedeutendsten Turniers an den Wüstenstaat bemängelt wird. Schon kurz nach der Entscheidung gab es Korruptionsvorwürfe. Zudem wurde immer wieder die Menschenrechtssituation und der Umgang mit Gastarbeitern, die für die Errichtung der gesamten Infrastruktur zuständig sind, missbilligt. Diese und viele weitere Faktoren sorgen unter den Fans in Deutschland für ein mehrheitliches Stimmungsbild: 82,4% spüren “keine oder nur sehr geringe“ Vorfreude auf die diesjährige Weltmeisterschaft. Sogar ganze 84% freuen sich weniger auf das Turnier als es bei vergangenen Weltmeisterschaften der Fall war.
Menschenrechtslage und Korruption wirken negativ auf die Vorfreude
Die einzigen Faktoren, die sich positiv auf die Vorfreude der Fußballfans in Deutschland auswirken, sind sportlicher Natur. Die Aussichten auf hochklassigen Fußball (18,9%) und auf ein spannendes Turnier (19,0%) sind trotz der geringen Prozentzahlen noch das höchste der Gefühle unter den Fans. Wirklich ausschlaggebend sind aber die negativen Faktoren wie die Korruptionsvorwürfe bei der Vergabe und besonders die Menschenrechtssituation im Land. 80,9% der Umfrageteilnehmer gaben an, dass sich die vorausgegangene Korruption bei der Vergabe im Dezember 2010 negativ auf ihre Vorfreude auswirkt. Der ehemalige katarische Funktionär Mohamed bin Hammam soll vor der Wahl fünf Millionen Dollar an Offizielle gezahlt haben. Außerdem stützt ein Artikel aus der ‘New York Times‘ vom April 2020 die Korruptionsvorwürfe, da US-Bundesagenten Details über die Zahlungen an fünf FIFA-Mitglieder enthüllt haben.
Auch die Menschenrechtslage vor Ort mindert für 79,4% der Umfrageteilnehmer deutlich die Stimmung auf das Event. In Katar werden die LGBTQIA-plus-Gruppen sowie Frauen diskriminiert. Nach dem ‘2021 Qatar Country Report‘ der Organisation ‘Freedom of House‘ schneidet Katar sowohl bei den politischen, als auch bei den zivilen Rechten mit 25 von 100 möglichen Punkten schlecht ab und erhält zudem den Status “nicht frei“. Dies zeigte sich auch in der Vergangenheit bei den Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter, die die gesamte Infrastruktur und die Stadien errichten, dafür oftmals zwölf Stunden am Stück für einen Hungerlohn arbeiten. Für 78,3% der Fans wirkt sich dieser Faktor negativ auf die Vorfreude aus, für 79,1% außerdem die vielen Todesfälle auf den Baustellen. Nach einem Bericht von ‘Amnesty International‘ aus dem August 2021 sind bislang circa 15.000 Gastarbeiter auf den Baustellen verunglückt. Bei vielen dieser Todesfälle soll es zudem keine auszureichende Untersuchung gegeben haben, die Hinterbliebenen wurden dadurch im Unklaren gelassen.
Geringere Einschaltquoten sind zu erwarten
All diese Gründe führen dazu, dass sich 81,5% der Fans “wenig bis gar nicht“ auf die TV-Übertragungen freuen. Ganze 60,9% der Befragten wollen die diesjährige Weltmeisterschaft nicht einmal live vor den Bildschirmen verfolgen wollen. Da sich auch 89,6% der Befragten “wenig bis gar nicht“ auf das sonst so beliebte Public Viewing freuen und gleichzeitig Herbst- und Winterwetter in Deutschland herrschen wird, werden die Einschaltquoten und die Zuschauerzahlen im Vergleich zu anderen Weltmeisterschaften wohl recht gering bleiben. Während des WM-Finals 2014 zwischen Deutschland und Argentinien haben beispielsweise durchschnittlich 34,65 Millionen Menschen in Deutschland ihre Fernsehgeräte eingeschaltet. Nach einer Hochrechnung haben zwölf Millionen weitere das Spiel beim Public Viewing auf öffentlichen Plätzen, in Kneipen oder zusammen mit Freunden verfolgt. Bei der WM 2018 in Russland, als das deutsche Team schon nach der Gruppenphase ausgeschieden ist, lockte das Spiel Deutschland-Schweden mit 27,78 Millionen am meisten Zuschauer vor die Bildschirme. Nach den Angaben der Befragten sind Zuschauerzahlen in dieser Höhe während der WM 2022 kaum vorstellbar.
Fans würden Katar die WM kurzfristig entziehen
Das geringere Interesse am Geschehen führt unter den Fußballfans in Deutschland auch zu einer sehr ungewöhnlichen Konsequenz im Falle eines DFB-Erfolgs im Wüstenstaat: Nur 36,5% würden sich über den fünften Stern der deutschen Nationalmannschaft freuen. Zahlreiche Autokorsos und ausgelassene Stimmung wie nach dem vierten Sieg der Weltmeisterschaft 2014 würden wohl weitestgehend ausbleiben.
Insgesamt ist die kaum vorhandene Vorfreude bei den Fans also nicht sportlicher Natur, sondern hängt politisch mit dem Gastgeberland in Verbindung. Deswegen würden ganze 89,5% der Umfrageteilnehmer dem Emirat in Vorderasien die größte Fußballveranstaltung kurzfristig entziehen, sollte ein Ersatzausrichter verfügbar und ein Standortwechsel insgesamt möglich sein. Allerdings ist ein solcher Beschluss wohl mehr als nur unwahrscheinlich.
Es bleibt abzuwarten, wie die tatsächliche Stimmung in Deutschland ausfallen wird und wie viele Fußballfans wirklich den Fernseher ausgeschaltet lassen. Nach aktuellem Stand wird wohl alles anders werden, als bei den vorhergegangenen Turnieren, die immer wieder internationale Begeisterung hervorgerufen haben.